Evolutionsbiologische Betrachtungen zur gemeinen Wassermelone und dem dreibeinigen Senfkrömling
Während ich heute nach der Arbeit eine Wassermelone nach Hause trug, gingen mir Gedanken über das mystische Gleichgewicht der Natur durch den Kopf: A frisst B, wodurch sich die Population von A vermehrt und die von B verringert, was wiederum das Nahrungsangebot für A soweit verringert, dass die Population schrumpft, wodurch sich der Bestand von B wieder erholt und A nun wieder ein reichliches Nahrungsangebot hat.
Soweit, so gut! Wie aber passt die Wassermelone in diesen endlosen Kreislauf von fressen und gefressen werden? Welches sind ihre natürlichen Feinde und wer muss sie fürchten? Hier das Ergebniss meiner umfangreichen Forschungen.
Die Geschichte der gemeinen Wassermelone ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Und sie ist untrennbar verbunden mit dem dreibeinigen Senfkrömling.
Der dreibeinige Senfkrömling ist, ebenso wie die Wassermelone, auf den Schlickhalden von Emden beheimatet. Hier, und nur hier, entwickelte sich eine einzigartige symbiotische Beziehung zum Nutzen beider Spezies.
Der aufmerksame Betrachter mag sich nun ob des sonderbaren Namenszusatzes “dreibeiniger” des Senfkrömlings wundern und sich fragen was den dreibeinigen vom normalen Husumer Senfkrömling unterscheidet.
Es begab sich im Jahre 1815, dass der Heimatdichter Hubertus von Senkengrunf an einem lauen Sommerabend bei bester Fernsicht und schwülem Wetter sich anschickte eine Buche zwar sturzbetrunken, aber ausserordentlich zielsicher aus einer bezeugten Entfernung von nahezu 200 Metern anzudichten. Von Senkengrunf hatte zu diesem Zeitpunkt bereits nahezu jedes heimatkundlich bedeutende Bauwerk angedichtet, diverse Bewässerungsgräben und Senkgruben besungen und sich damit den Ruf eines Heimat- und Naturdichters von ausserordentlichem Kaliber erworben.
An diesem Abend wollte von Senkengrunf sein Tagwerk nach mehreren Krügen Amaretto und Eierliklör mit einer gelungenen Naturbedichtung beenden, als er plötzlich auf einem nahestehenden Zaunpfahl den ihm in der Erscheinung vertraut vorkommenden Senfkrömling erblickte. Durch den segensreichen Einfluss des Alkohols sah von Senkengrunf doppelt und weil er Einäugig war sah er nur das eine Bein des Senfkrömlings doppelt. Umgeben von den Honoratioren schickte man sich an die neue Art zu erkunden und näherte sich nun wankend auf allen Vieren dem wundersamen Wesen, welches betäubt durch den stechenden Alkoholdunst alsbald donnernd seinen Darm entleerte und wie tot vom Zaun viel.
So entdeckte also Hubertus von Senkengrunf den dreibeinigen Senfkrömling. Dessen Rolle bei der Vermehrung der Wassermelone wurde jedoch erst viel später entdeckt. Ebenso wie der dreibeinige Senfkrömling kommt die Wassermelone nur im Gebiet der Schlickhalden von Emden vor. Versuche dieses Gewächs auch in anderen Gegenden zu beheimaten schlugen fehl. Bei den meisten im Handel erhältlichen Wassermelonen handelt es sich daher entweder um Komplettimitate aus Fischmehlersatz, oder um echte Wassermelonenschalen, die mit künstlich hergestelltem Pressmelonenfleisch aus Fischmehlersatz ausgeschäumt wurden. Die gemeine Wassermelone kann sich nur dort fortpflanzen, wo sich auch der dreibeinige Senfkrömling, ihr natürlicher Feind, befindet.
Der dreibeinige Senfkrömling verwendet die Schale der Wassermelone als Nistplatz und Wohnhöhle. Dazu pirscht er sich langsam und behende an eine unachtsam und einsam im Unterholz liegenden Wassermelone heran. Wenn nötig belauert er die Wassermelone für Stunden und schlägt erst dann zu, wenn er sicher ist keine Gegenwehr oder Flucht erwarten zu müssen. Mit seinem scharfen Schnabel hat er in wenigen Stunden ein winziges Loch in die Schale der Wassermelone geschlagen, bis schliesslich das weiche, wässerige Fruchtfleisch vor ihm liegt.
Bevor der dreibeinige Senfkrömling sein neues Heim beziehen kann, muss zunächst der alte Bewohner entfernt werden. Mit unendlicher Geduld vertilgt er also das Fruchtfleisch der Melone und nimmt dabei das bis zu fünfzigfache seines Volumens auf. Nicht wenige dreibeinige Senfkrömlinge platzen bei dieser Belastung und verteilen dabei explosionsartig das Fruchtfleisch und die Kerne der Wassermelone über eine Radius von bis zu 10 Metern. An lauen Sommerabenden ist das Unterholz oftmals erfüllt vom Wiederhall tausendfachen Platzens. Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass nur 2 von 30 dreibeinigen Senfkrömlingen die sogenannte Melonenräumung überleben. Das heißt also ungefähr 26 von 30 Senfkrömlingen platzen und schaffen so neue Melonen.
Aber die Tragik des Senfkrömlings nimmt hier kein Ende. Von den etwa 3 von 30 überlebenden Senfkrömlingen sind 3 von 5 nicht mehr in der Lage in ihrem aufgeblähten Zustand durch das kleine Fressloch in die Melonenschale zu kriechen. So bleibt diesen bedauernswerten Schwerstarbeitern nur sich geräuschvoll zu erbrechen, wobei auch sie Fruchtfleisch und Kerne über einen Radius von bis zu 20 Metern verteilen. Eine Wassermelone wäre von alleine aufgrund der ihr angeborenen Trägheit niemals in der Lage ihre Nachkommenschaft auf so großem Gebiet zu verteilen. Die wenigen dreibeinigen Senfkrömlinge jedoch, die es schaffen in der ausgehölten Melonenschale eine Heimat zu beziehen, geben diese alsbald wieder auf, weil es ihnen im inneren der Wassermelone zu feucht ist und ihr Gefieder anfängt zu schimmeln. Sobald er seine Eier in die Schale gelegt hat, verlässt der Senfkrömling diese wieder und wendet sich wieder seiner üblichen Beschäftigung zu, dem erwürgen von kleinen Nagetieren.