Gisys Kinotip

Nein, gemeint ist hier nicht Gregor Gysi, sondern Christian Gisy, Vorstand der Cinemaxx AG. Herr Gisy beschreibt in einem Interview mit Spiegel Online wie man wieder Zuschauer ins Kino locken kann, trifft aber meiner Meinung nach nicht so richtig den Kern des Problems, weshalb ich hier widersprechen möchte.

Meine Damen und Herren wir freuen uns das Hauptereignis des Abends zu präsentieren. Es folgt eine Polemik.

Gisy: Nein. Wir wollen einfach die Leute abholen, die wirklich kinobegeistert sind. Und die sollen möglichst andere Leute mitziehen. Es ist ein weiteres Modell, Kino mit einem hochwertigen Produkt attraktiv zu machen - und in anderen Branchen ja durchaus üblich.

“kinobegeistert” dürfte ja wohl tatsächlich “filmbegeistert” meinen. Und wer filmbegeistert ist, dürfte seit geraumer Zeit in erster Linie “sehr enttäuscht” sein. Das hochwertige Produkt von dem er da redet ist vielleicht der Film, aber ganz bestimmt nicht der Kinobesuch als solches. Wenn wir mal annehmen ein guter Film sei wie ein gutes Essen, dass mit einem angenehmen Duft dafür sorgt, dass Appetit zu Hunger wird und einem das Wasser im Mund zusammenläuft, dann serviert uns das Kino dieses Essen häufig auf dem Mülleimerdeckel einer grünen Tonne im Hochsommer.

SPIEGEL ONLINE: Aber auch gute Filme kann man sich inzwischen problemlos zu Hause auf dem Riesen-Flatscreen-Fernseher dank DVD anschauen oder gleich aus dem Internet herunterladen.

Gisy: Das kann ich letztlich nicht verhindern. Es wird immer Leute geben, die sich auch Filme auf dem iPhone anschauen. Deshalb muss ich meine Stärken rausstellen: Kino bietet eine Riesenleinwand, einen geilen Sound, ist ein Auszeit vom Alltag und ein Gemeinschaftserlebnis - und kann deshalb ganz andere Emotionen wecken, als wenn man alleine zu Hause vor dem Fernseher sitzt. Allerdings müssen wir die Couchpotatos bewegt kriegen.

Herausstellen der eigenen Stärken ist die eine Sache. Vielleicht sollte man aber auch mal über die Schwächen nachdenken. Das mit der Auszeit vom Alltag ist nämlich leider nur zu wörtlich zu nehmen.

Wenn ich mir einen Film im Kino ansehe und dafür erstmal 30 bis 40 Minuten Werbung über mich ergehen lassen muss, ist das zwar auch eine Art von Auszeit vom Alltag, aber keine die ich schätze. Dabei wäre Werbung für andere Filme ja noch interessant, denn schließlich ist es ja das Interesse am Film, das uns Filmbegeisterte ins Kino treibt. Da freut man sich ja Trailer zu sehen, die das Interesse an weiteren Filmen wecken könnten. Aber Filmtrailer machen den geringsten Anteil an der mit Werbung vertanen Zeit aus. So sitzt man also seine Zeit als Geisel der Werbewirtschaft bei Werbung für Kondome, Alkohol in unterschiedlichsten Darreichungsformen, Textilramschverhökerer und Eiscreme ab. Und gerade wenn man meint den Tiefpunkt erreicht zu haben, weil das Niveau vermeintlich nicht mehr tiefer sinken kann, sackt es Erdrutschartig erneut ab. Willkommen in der Wunderwelt der Kinowerbung mit Lokalbezug! Von jetzt an werben Fliesen-Karl, Auto-Heinz und Möbel-Manuela mit Inserts, die noch aus der Zeit vor der Wende stammen. Begleitet wird das von einer Musikuntermalung, die klingt, als ob sie der streberhafte Cousin dritten Grades mit den durchgegelten Haaren, den man immer gehasst hat auf der Bontempi Heimorgel eingespielt hätte.

Und was das Gemeinschaftserlebnis betrifft kann ich nur sagen, dass sich die Begeisterung über die Gemeinschaft immer relativiert sobald die anderen den Mund aufmachen. “Also ich finde wer nichts zu verbergen hat, der kann ja ruhig seine Gene abgeben” von der Braut neben mir zu ihrem Typen in der Pause von Lord of the Rings, “Hey da ist ja gar keine Aktion man” in einer Gruppe Jugendlicher in der gleichen Pause. In bleibender Erinnerung sind mir auch die beiden Vollpfosten vier Reihen hinter mir geblieben, die sich in den letzten Minuten von Blow lauthals darüber ausgetauscht haben, ob man nicht besser jetzt schon gehen solle, um das Gedränge zu vermeiden, der Film sei ja schon fast vorbei, da heule ja jetzt nur noch dieser Alte rum.

Herr Gisy hat Recht. Das weckt in der Tat ganz andere Emotionen, als wenn man alleine zuhause vorm Fernseher sitzt. Und wenn ich unbedingt möchte, schaffe ich es zuhause auch noch zwischendurch den Ton oder gerne auch Bild und Ton ausfallen zu lassen. Schließlich tragen diese kleinen Unterbrechungen doch zu einer Individualisierung des Kinoerlebnisses bei, die auch wieder die soziale Komponente berücksichtigt. Man kann sich dann hinterher im Bekantenkreis austauschen, um aus den Versatzstücken der unterschiedlichen Vorstellungen doch noch einen ganzen Film zusammen zu bekommen.

Gisy: Luxus-Kino trifft es nicht ganz, es ist ein gehobenes Angebot. Ein umgebauter Kinosaal, der deutlich mehr Platz bietet und Ledersessel statt Kinositze hat. Es gibt Bedienung am Platz. Wer will, kann Wein und Sekt trinken und ein bisschen Finger-Food bestellen. Ich stehe nicht auf den Begriff “Luxus”, das Ganze ist preislich so angelegt, dass es sich jeder leisten kann, der ein höherwertiges Angebot bevorzugt.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt konkret?

Gisy: Die Karte kostet zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro - je nach Platzwahl.

Und ich dachte aus dem Experiment mit den Schuhkartonkinos der frühen 80er hätte man die Lehre gezogen, dass es schlichtweg behämmert ist im Kino Bedienung am Platz und eine Speisekarte zu haben. Wenn man den Film sehen möchte nervt es wenn ständig jemand rumläuft und dann am besten noch rumfragt für wenn denn jetzt die Suppe und für wen das Steak war. Damit man das Essen auch sieht sind dann natürlich auch wieder kleine Lämpchen am Platz nötig. Stört im Kino ja auch kaum. Und ob ich auf Lederbezügen oder auf dem üblichen Synthetik sitze ist mir völlig egal, solange der Sitz sauber ist, die Polster nicht durchgesessen sind und die Lehne nicht nach hinten wegkippt.

Die Preisgestaltung ist auch so eine Sache. 10 Euro für einen Film, den man sich in Kürze für 15 Euro kaufen, oder für 2 Euro in der Videothek ausleihen kann ermutigt nicht gerade besonders oft ins Kino zu gehen. Zumindest nicht wenn die Präsentation so deutlich schlechter ist. Eine meiner Macken ist ja, dass ich Filme nicht synchronisiert, sondern im Original sehen will. Damit sieht es dann im Kino eher zappenduster aus, da es nur für wenige Filme überhaupt O-Ton-Vorstellungen gibt, die sich dann allerdings in der Regel auf einen Termin beschränken.

Gisy: Nein, das können wir nicht. Allerdings haben auch die internationalen Verleiher in den letzten Jahren gemerkt, dass sie auch andere, lokale Filme anbieten müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Die Deutschen gehen im Schnitt nur 1,5 bis 1,8-mal im Jahr ins Kino. In anderen europäischen Ländern liegt die Besuchshäufigkeit bei 2,5-mal pro Jahr. Was vielleicht daran liegt, dass wir gerade mal 25 Prozent heimische Produktionen haben - obwohl gerade die gerne gesehen werden. Wir können nicht ausschließlich Blockbuster aus Hollywood zeigen.

Mein Eindruck ist, dass es nicht so sehr um lokale Filme gegen internationale Filme geht, sondern um Inhalt und Güte insgesamt. Wenn ich sehe, dass Bruce Willis mit 53 nochmal den John McClane gibt, gewinnt der Titel “Stirb Langsam” eine ganz neue Bedeutung. Harrison Ford sollte mit 66 als Indiana Jones nicht Kristallschädel suchen, sondern lieber noch einen Schluck aus dem heiligen Gral nehmen, der ewige Jugend verspricht. Das gleiche sollte man Sylvester Stallone empfehlen, dessen Rocky und Rambo ebenfalls nicht tot zu kriegen sind. Aber schlechte Filme kann man auch in Deutschland machen.

Eine Lösung könnte die anstehende Digitalisierung sein. Wenn für Herstellung und Versand einer Filmkopie nicht mehr Kosten von über 1000 Euro anfallen, sondern der Film online oder als billig zu erzeugender DVD-Satz zum Kino kommt, kann man es sich eher leisten auch mal Filme jenseits des Massengeschmacks zu zeigen.

Fürs erste würde es ja aber vielleicht schon reichen sich klar zu machen, dass die eigenen Kunden eben keine Kinofans, sondern bestenfalls Filmfans sind. Wir kommen um einen Film zu sehen. Das ist der Teil des Abends, für den ich das Geld bezahle. Wenn der Hauptumsatz im Kino mit den Snacks und Getränken erwirtschaftet wird und das abspielen irgendeines Films nur noch dazu dient, dass die Leute vorher Umsatz an der Knabbertheke machen, ist etwas schiefgelaufen. Und wenn Verleiher und Kinobetreiber sich nicht auf eine Gewinnaufteilung einigen können, die beiden genug Luft zum leben lässt kann es eben sein, dass sich beide ihr Geschäft kaputt machen, denn das Filmerlebnis auf DVD ist auch nicht zu verachten und erspart einem so manches Kinoärgernis. Ich wäre jedenfalls vollends zufrieden, wenn neue Filme gleichzeitig sowohl im Kino, als auch auf DVD erscheinen würden. Das würde meine Wartezeit verkürzen, denn im Augenblick ist ein Kinobesuch für mich die Ausnahme. Als ich vor einigen Wochen tatsächlich mal wieder einen Film so gerne sehen wollte, dass ich dafür ins Kino gegangen bin, hat es das örtliche Cinemaxx zielsicher geschafft Bild und Ton zu unterbrechen. Und da im Kino natürlich nicht zurückgespult wird, werde ich einen kleinen Teil des Films dann eben erst auf DVD zum ersten Mal sehen.

Danke Herr Gisy, dass Sie Ihr Kino mit einem hochwertigen Produkt attraktiv gemacht haben!