Göttinger Kinogeschichte(n)

Das Sterntheater in Göttingen spielt seit dem 01.01.2009 unter neuer Leitung und mit neuen Ideen. Eine echte Perle findet sich schon jetzt auf den Webseiten des Kinos: Ein sehr ausführlicher Aufriss der Geschichte des Sterntheaters und der Göttinger Kinos insgesamt1.

Beim Lesen ist mir natürlich so manche Erinnerung in den Sinn gekommen. Meinen ersten Kinofilm überhaupt habe ich mit meinem Vater im Central gesehen: Der Räuber Hotzenplotz mit Gerd Fröbe.

Ebenfalls im Central, diesmal aber mit meiner Schwester, habe ich Elliot das Schmunzelmonster (der im Original Pete’s Dragon heißt) gesehen. An der Kasse gabs zur Kinokarte noch ein Klebealbum zum Film von Panini und ein paar Tütchen Bilder zum anfixen. Vom Filmerlebnis ist mir noch in Erinnerung geblieben, dass ich mir deutlich mehr Elliot und deutlich weniger Gesangseinlagen gewünscht hätte.

Vor dem Capitol, dem alten, richtigen Capitol, nicht dem kastrierten drei Zimmer Kino mit Supermarkt im Erdgeschoss habe ich mit meiner Mutter auf meinen Vater und meine Schwester gewartet, die da drin Schlacht um Midway gesehen haben, während der Sound der Fliegerangriffe bis auf die Straße gedröhnt hat.

Im Capitol habe ich außerdem, wieder mit meinem Vater, Das Imperium schlägt zurück gesehen und habe wertvolle Minuten verpasst weil ich mittendrin aufs Klo musste.

Überhaupt: Mein Vater! Die Hauptperson in meiner Kinosozialisation! Mein Vater ist mit mir Knirps klaglos in fast jeden Film gegangen, an dem sich mein Interesse festgesaugt hatte, bis ich endlich alt genug war mit Freunden oder alleine ins Kino zu gehen. Die einzige Ausnahme war Andy Warhols Frankenstein. Der Titel “Frankenstein” in der Kinoanzeige hat mich sofort angesprochen, das klang schließlich nach einem dieser tollen Gruselfilme die Samstags nach dem Wort zum Sonntag im Ersten liefen. Meine Eltern fanden den Inhalt jedoch eher ungeeignet für mein Alter und haben mich mit Engelszungen überzeugt ob des verpassten Films nicht traurig zu sein, weil da wohl eher nackte Frauen als zusammengenähte Monster zu erwarten wären. Da ich ersteres damals im Gegensatz zu letzterem eher langweilig fand, war die Enttäuschung nur von kurzer Dauer. Frankenstein lief stilecht in einem der drei Kellerkinos Kurbel, Royal oder Savoy im Gothaerhaus. Heutzutage verkaufen die Göttinger Verkehrsbetriebe da Buskarten.

Ein anderes Mal hat uns das Sterntheater einen Strich durch die Rechnung gemacht: Mein Vater wollten irgendeinen Film sehen, an dessen Titel ich mich nicht mehr erinnere (irgendwas im Stil von Die Wildgänse kommen oder Das dreckige Duzend) und hat mich mitgenommen. Diesmal befand mich das Kinopersonal für zu jung für den Film und ließ sich auch nicht umstimmen. Also wurde spontan umdisponiert: Ich wurde ins Sternchen in Mrs. Brisby und das Geheimnis von Nimh geschoben (nicht ohne mir vorher einzuschärfen “Wenn dein Film zuerst aus ist warte im Foyer”) und mein Vater hat seinen Film im Stern gesehen.

Im Casino in der Grätzelstraße ist grundsätzlich mitten in der Vorstellung der Kassierer schwerbeladen mit klappernden Getränkekisten vor der Leinwand entlang gelaufen, weil er zu faul war aussen ums Haus herumzugehen, um die Bestände in seinem Kassenhäuschen wieder aufzufüllen.

Im Casino habe ich auch Sunshine Reggae auf Ibiza gesehen. Weil Karl Dall vor seiner Showbiz Karriere Drucker beim örtlichen Göttinger Tageblatt war, hat das GT Karten für seinen neuen Film verlost und ich habe tatsächlich eine gewonnen. Und nach der Vorstellung gabs Autogramkarten der anwesenden Hauptdarsteller Karl Dall, Chris Roberts und Jacqueline Elber.

Auch im Stern gesehen: Zurück in die Zukunft. Im Foyer stand da, wo später die Knabbertheke aufgebaut wurde ein echter DeLorean!

Und wieder Sterntheater: Ich sehe Samstag am Nachmittag eine Doku über Speed, denke “Boah, da fliegt die Kuh, den sehe mir mir heute Abend an” und sage an der Kasse nur “einmal Stern”, schließlich kann so ein geiler da-fliegt-die-Kuh Film ja nur im großen Kino laufen. Im Kino fängt der Film allerdings auf eine unerwartet ruhige Weise an. Eine Feder fliegt zu sanfter Musik über die Leinwand…

…und landet neben dem Schuh von Tom Hanks! Mist, Mist, Doppelmist! Ich saß in Forrest Gump. In den ersten Sekunden dieser erschütternden Erkenntnis wäre ich am liebsten laut “Oh mein Gott! Ich bin im falschen Kino!” kreischend aufgesprungen und ins Sternchen gerannt, um doch noch Speed zu sehen. Andererseits wollte ich mir nicht die Blöße geben meine Verwechslung draußen zu erklären und mich als der Depp, der ins falsche Kino geht zu outen (was ich hiermit nachträglich tue), nur um dafür den Rest eines schon gestarteten Films zu sehen. Ich bin also sitzen geblieben und fühlte mich am Ende auch von Forrest Gump ganz gut unterhalten.

Schöne Erinnerungen.


  1. Nur noch über archive.org verfügbar. ↩︎